Sebastian Weik Blog | e-Mobility | VW ID.3 - Wie fäjrt er?

Sebastian Weik

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VW ID.3 - Wie fährt er sich?

Die erste größere Fahrt mit dem ID.3 geht gen Süden 600km durch Schweiz und Gotthard an den Lago Maggiore. Eindrücke nach fünf Jahren Gewöhnung an einen i3 ...

Cockpit und Losfahren

Schön für i3-Fahrer ist die offensichtlich kopierte Bedienlogik am Lenkrad für die Fahrstellung: Einmal nach vorn drücken ergibt "D". Dies ist der "Segel-Mode", d.h. das Fahrzeug rollt sobald man vom Strompedal geht. Den Rekuperationsmode "B" erreicht man durch nochmaliges Drücken nach vorn. Dies ist ein wenig unglücklich gelöst, da man jedes mal einen "Click" zu viel machen muss beim Losfahren. Wenn man zwischen "vorwärts" und "rückwärts" hin- und her wechselt (oder "N"), behält er das "B" immerhin bei, das führt dann aber dazu, dass während der Fahrt nicht mehr von "B" auf "D" zurück gewechselt werden kann. Insgesamt unglücklich gelöst. Hier wäre ein separater Schalter oder - besser - eine dauerhafte Einstellung in einem Konfigurationsmenü vorzuziehen.

Infotainment Touch-Screen
Infotainment Touch-Screen

Super ist das auf der Lenksäule sitzende Fahrer-Display, das sich mit dieser zusammen bewegt. Beim i3 ist dieses fest und man hat je nach Lenksäulenverstellung und Fahrergröße irgendetwas immer vom Lenkrad verdeckt. Das ist hier wirklich besser gelöst. Im großen Mitteldisplay befindet sich das Infotainment, das zum "hochfahren" nach Fahrzeugstart schon mal eine knappe Minute benötigt, bis alle Funktionen "ruckelfrei" zur Verfügung stehen. Man kann vorher schon losfahren, aber Navi nutzen oder Klima einstellen, geht erst nach einer gewissen Zeit. Fühlt sich an, als ob da im Hintergrund ein Rechner bootet und so nach und nach seine Dienste startet. Interessant ist die jedes mal auftauchende Frage beim Start, ob man "online" oder "offline" fahren möchte. Das ist im Sinne des Datenschutzes ein großer Fortschritt (beim i3 kann man den "online"-Modus nur durch BMW "irreversibel" abschalten lassen und dann funktioniert nicht einmal mehr der Notruf). Bedienungstechnisch ist dieser bei jedem Start benötigte Click überflüssig. Eine schöne Verbesserung wäre ein "Häkchen" mit "Diese Einstellung merken" bzw. "Nicht mehr fragen".

Der Beifahrer merkte an, dass es schön wäre, wenn man den Zentralbildschirm auch in seine Richtung drehen könnte ... Tatsächlich ist die Touch-Bedienung vom Beifahrersitz aus für Rechtshänder während der Fahrt nicht einfach.

Blick auf das Fahrerdisplay Touch-Lenkrad
Blick auf das Fahrerdisplay Touch-Lenkrad

Die Sensor-Tasten am Lenkrad sind gewöhnungsbedürftig und kommen nicht an die z.B. beim i3 verbauten haptischen Tasten heran: Das "Wischen" zum wechseln von Display-Funktionen ist ganz cool, aber die Ansteuerung von +/-1 vs. +/-10 km/h für Tempomat etc. erfordert zwei "Druckpunkte", die aber nur "virtuell" ausgeprägt sind; das Touchdisplay misst wohl den Fingerdruck und reagiert bei leichtem Druck mit einem Vibrations-Puls und einer Änderung um +/-1 km/h, bei stärkerem Druck mit zwei aufeinander folgenden Vibrations-Stößen und einer Änderung um +/-10 km/h. Man kann sich dran gewöhnen, fühlt sich aber nicht "wertig" an. Darüber hinaus kann man auch noch vertikal über die Fläche "wischen", was dann je nach Richtung auch zu +/- 10km/h führt. Nett gedacht, aber irgendwie "over-Engineeed", wenig intuitiv und anfällig für Fehlbedienungen, da man sich beim Drücken bemühen muss, nicht aus Versehen auch noch zu wischen.

One Pedal Fahren...

... gibt es nicht wirklich beim ID.3: Man hat hier im Prinzip das Verhalten eines klassischen "Automatik"-Wagens implementiert/kopiert (mit "Kriech-Mode" etc.). Das ist aus VW-Sicht verständlich, um möglichst viele "konventionelle" Fahrer zum Umstieg zu bewegen; ich weiß noch genau, als ich vor sechs Jahren zum ersten mal in einem i3 saß und das One-Pedal-Fahren echt ungewohnt war. Könnte mir vorstellen, dass diverse Nutzertests ergeben, dass das auch "abschreckend" sein kann. Für erfahrene E-Auto-Fahrer, die das aber lieben gelernt haben, ist die Performance des ID.3 hier etwas schwach und man vermisst die feinfühlige Ansteuerbarkeit des Strompedals (das bei VW übrigens in der Anleitung immer noch "Gas"-Pedal heißt ...): Die Präzision mit der man beim i3 1 km/h fahren kann, die Rekuperation auf "0" (ohne dass das Fahrzeug dabei beim Anhalten auch nur "nickt"!) war schon immer fantastisch und wird vom ID.3 nicht erreicht. Beim i3 kann man auch im Sport-Modus ohne Probleme so anfahren, dass die Beifahrer kein Nackentrauma bekommen. Das fällt beim ID.3 schwer.

Die Rekuperationsleistung des Fahrzeugs scheint grundsätzlich deutlich höher zu sein als beim i3 jedoch erhält man auch im "B"-Modus nur ca. die Hälfte des Möglichen. Die zweite Hälfte gibt es erst bei Tritt auf das Bremspedal. Auch bremst die Rekuperation nicht auf "0" herunter, da dann der Kriechmode einsetzt.

Es ist zu hoffen, dass VW hier an der Kennlinie im Anfahrbereich noch etwas machen kann und wird und für die Freunde des echten "One-Pedal"-Fahrens irgendwo noch einen Untermenü-Punkt hinzufügt, in dem man das Fahrzeug in diesem Modus bringen kann.

Beschleunigung und Fahrverhalten

Die verschiedenen Fahrmodi wären eigentlich gut geeignet, verschiedene Kennlienien des Ansprechverhaltens beim Strompedal anzubieten. Gefühlt existiert aber kein rechter Unterschied zwischen den Modi. Die Beschleunigung ist grundsätzlich ordentlich und ist vergleichbar mit dem i3, wenngleich er nicht ganz die Spritzigkett des Letzteren erreicht. Beim 1 1/2-fach höhreren Fahrzeuggewicht verwundert das auch nicht - man "fühlt" die Trägheit der höheren Masse. Dafür erscheint die Elastizität bei Beschleunigungsvorgängen oberhalb von 120 deutlich höher. Da macht der i3 eher nichts mehr, der ID.3 beschleunigt auch nier noch spürbar was zum Thema Langstrecken- bzw. Autobahneinsatz passt.

Deutlich angenehmer als beim i3 ist die Lenkung! Nach 1500km Urlaubsfahrt im ID.3 kommt einem die Lenkung des i3 so vor, als ob die Ingenieure vergessen hätten, eine Servolenkung zu verbauen ... Und trotzdem ist die Lenkung des i3 - vor allem bei Wind - super "hippelig" auf der Autobahn und das Fahrzeug fast nicht ruhig zu halten. Das haben die Ingenieure von VW deutlich besser hinbekommen; das Fahrzeug fährt sich - gerade auf der Autobahn - sehr ruhig und unaufgeregt.

Geräusche

Die bisher viel gepriesene Geräuschkulisse des ID.3 überzeugt mich nicht wirklich. Das Inneraumgeräusch ist nicht überragend gedämpft - besonders fällt ein "singendes" Geräusch bei ca. 110-120 auf, das wohl vom Straß0enbelag abhängig ist; Beton scheint hier besonders schlecht, aber die 300km A5 zwischen Frankfurt und Basel bestehen zu fast 100% aus diesem ... Ich hoffe, dass das irgendwie an den neuen Reifen liegt und sich noch verliert ...

Ganz grausam aber ist der externe "Fußgänger-Schreck-Verhinderer", d.h. Geräuschgenerator (vor allem für jemanden wie mich, der bisher soetwas gar nicht hatte ...): Neben der Tasache, dass der Sound gräßlich ist, ist er leider auch im Innenraum deutlich zu vernehmen. Ab 35 schaltet sich das Teil ab und man denkt "Herrlich, diese Ruhe! Stimmt ja - ich sitze in einem Elektroauto ...". Bitte, bitte liebe VW-Ingenieure: Bei jedem Telefon kann ich den Klingelton auswählen - warum dann - wenn es schon sinnloserweise sein muß - nicht das Fahrgeräusch des ID.3? Und außerdem koppelt die Intensität nicht nur an die Geschwindigkeit sondern auch mindestens teilweise an die aktuelle Motorleistung - dann fühlt es sich wenigstens irgendwie "echt" an und man wird nicht mit einem völlig zusammenhanglosen Science-Fiction-Raumschiffsound umnebelt ...

Kleiner Nachtrag: Schön ist auch der wirklich gut funktionierende Regensensor; das hat BWM beim i3 leider trotz mehrerer Reparaturversuche nicht hinbekommen, was ein großes Ärgernis ist, da es sich um einen der wenigen "Assistenten" handelt, die wirklich sinnvoll sind.

Zusammenfassung

Zusammengefasst sollen die vielen kleinen Kritikpunkte aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass VW hier tatsächlich ein großer Wurf gelungen ist, der in meinen Augen, die E-Mobilität stark nach vorne bringen wird. Zum ersten mal existiert nämlich ein massenfähiges Elektrofahrzeug (noch dazu in Deutschland gefertigt!), das zu einem kompetetiven Preis eine vollständige Alltags- und Langstreckentauglichkeit aufweist (außer Wohnwagen ziehen ...). Wer noch etwas mehr Platz für die Familie benötigt, muss noch ein paar Monate warten, aber ansonsten sind mit diesem Fahrzeug die ewig gehörten Argumente "zu teuer", "keine Reichweite", "zu wenig Ladestationen" erstmal ausgehebelt.

Im nächsten Beitrag geht es dann um Verbrauch und Laden.

2020-10-12